Eu, Salvador

CityX - Eu, Salvador

Kunstprojekt 2016/17

Im September 2016 reiste Doris Graf und ihr Team nach Salvador, Hauptstadt des Bundesstaates Bahia, um ihr drittes Brasilien-Projekt zu beginnen. Dieser erste Abschnitt eines CityX-Projekts besteht darin, Zeichnungen der Stadtbewohner zu sammeln und zwar in der reduzierten Form eines Zeichens.

Salvador wurde mit dem Bau der Festung Santo Antônio da Barra Mitte des 16. Jh. als Hauptstadt der portugiesischen Kolonie Brasil gegründet und entwickelte sich bald zum Umschlagplatz für den Sklavenhandel aus Afrika. Heute ist Salvador die drittgrößte Metropole Brasiliens mit dem größten Anteil einer Stadtbevölkerung afrikanischer Herkunft weltweit.

Salvador ist die Quelle der afro-brasilianischen Kultur. Der berühmte Kampftanz afrikanischer Herkunft, die Capoeira, hat sich hier entwickelt. Dank der afro-brasilianischen Musik wurde die Stadt »Creative City of Music« betitelt; der Carnaval da Bahia soll der größte Straßenkarneval der Welt sein. Doch auch die europäischen Kolonialherrscher trugen zur Bildung einer starken städtischen Identität bei: 365 katholische Kirchen befinden sich in Salvador und das Centro Histórico Pelourinho gehört zu den UNESCO-Welterbestätten.

Diesem starken Image der Stadt stand die politisch sowie wirtschaftlich und gesellschaftlich schwierige Realität entgegen, als Doris Graf ihr Projekt mit der Bevölkerung initiierte. Wenige Wochen zuvor war die Präsidentin des Landes in einem umstrittenen Amtsenthebungsverfahren abgesetzt worden. Ihre Regierung und die ihres Vorgängers »hatten nicht nur […] den Lebensstandard der unteren Schichten beträchtlich erhöht, sondern auch den Zugang zu den staatlichen Universitäten demokratisiert«[1]. Doch nun hatte die reiche Elite des Landes die Macht übernommen und in Salvador selbst fand ein regelrechter Kampf um das Gewinnen der Kommunalwahlen statt.

Vor diesem politischen Hintergrund wurden die Menschen aufgefordert, die Beziehung zu ihrer Stadt in eine Zeichnung zu fassen. Dabei war es eine Herausforderung, Misstrauen abzubauen, Vertrauen zu gewinnen; den verunsicherten Menschen glaubhaft zu vermitteln, dass es sich nicht um eine politische Kampagne, sondern um eine Kunstaktion handle. »Für jeden Durchschnittsbrasilianer ist jede Form von Macht nicht nur ein Grund des Misstrauens, sondern auch des Widerstands […] Dabei hat dieser Widerstand nichts Dialektisches, er beruht nicht auf politische Überzeugungen«; die Brasilianer entwickelten »eine antidialektische, ästhetische Handlungsweise«[1] mit Machthabenden umzugehen und sich durzuschlagen: Die Leiterin der Kunstakademie improvisierte kurzfristig eine Ausstellung; Helfer und Freiwillige ermöglichten der Künstlerin einen Zugang zu Schulen verschiedenster sozialer Prägung, zu einem Kinderheim und sogar zu einer »sozialistischen« Baptistenkirche.

Die Widersprüche und Konflikte der Bevölkerung in ihrer Beziehung zur Stadt kamen in den Zeichnungen zum Vorschein und erfuhren in den Piktogrammen Doris Grafs’, nach einem künstlerischen Aneignungsprozess, eine Art Komprimierung und Verdichtung: Liebe und Abscheu, Stolz und Enttäuschung, Hoffnung und Verzweiflung, Lösungsansätze und Verdrängung, Bewusstsein und Wunschdenken. Das Projekt löste bei Vielen erkennbare innere Konflikte und oft starke Emotionen aus, brachte zum Nachdenken, Reflektieren – und tat den Menschen auch gut.

Zeichnungen

Zeichungen “Eu, Salvador”

Piktogramme

Die piktografischen Bilder stellen eine Art Kondensat aller in Salvador da Bahia gesammelten Zeichnungen dar.