CityX - Io, Bergamo
Kunstprojekt 2018
„Paese che vai, usanza che trovi”, lautet das alte Sprichwort, „Andere Länder, andere Sitten“. Anders als in Deutschland, funktioniert Vieles im Bel Paese ausschließlich über Beziehungen. Die Künstlerin „Doris“ kannte „Klaus“, der seine Stiefmutter „Mariarosa“ ansprach, die wiederum ihre Nichte „Lori“ kontaktierte, die befreundet ist mit „Signora Poli“, die mit ihrer Kollegin „Nicoletta“ sprach und sie kontaktierte die Reti Sociali (soziale Netzwerke), die Bürger aller Stadtviertel miteinander verbindet. So entstand das Projekt „CityX – Io, Bergamo“ und so konnte Doris Graf im März 2018 mit den Zeichnen-Aktionen in der lombardischen Provinzhauptstadt beginnen. Das globale Kunstprojekt CityX wurde bisher in 10 Städten weltweit durchgeführt. Es besteht darin, Zeichnungen von der Bevölkerung zu sammeln, die deren Bezug zur Stadt ausdrücken, um daraus später, nach deren Analyse, ein Stadtbild in piktografischen Werken zu generieren. So entwickelte die Künstlerin 16 piktografische Motive der Stadt.
Bergamo, gelegen am Rande der Alpen, ist eine außergewöhnliche Stadt, die sich aus zwei Teilen zusammensetzt: aus der Città Bassa (Unterstadt) und der denkmalgeschützten Città Alta (Oberstadt). Die historische Architektur der Stadt ist immer wieder gerne gewähltes Motiv ihrer Bewohner. In Grafs Übertragung finden sich die Altstadt, die venezianischen Stadtmauern (UNESCO-Welterbe seit 2017), ein Renaissance-Palazzo und ein Stadttor mit dem Wappen des Markuslöwen, der an die religiösen Ursprünge und an die Zeit unter venezianischer Herrschaft erinnert. Zwei zeichnerische Perspektiven, der Blick von der oberen auf die untere Stadt und umgekehrt, werden in je einem Bild repräsentiert. Die Zeichnungen erzählen auch viel über die kulinarischen Gewohnheiten der Stadtbewohner: berühmte und heißbegehrte bergamaskische Spezialitäten, das Ritual des täglichen Kaffeegenusses aber auch Fast Food-Konsum, verbildlicht durch die international bekannten Symbole.
Von der Vielfalt individueller Eindrücke geprägt, kommt in Grafs Stadtbild jedoch nicht nur ein positives, romantisches Panorama zum Ausdruck, sondern ebenso kritische Facetten des realen Lebensortes: Luftverschmutzung, Gewalt und Drogenmissbrauch, Parkplatzmangel und die manchmal schwierigen menschlichen Beziehungen. Ein eigenes Bild bekamen die zeichnerischen Aussagen vieler Jugendlicher, die den Mangel an geeigneten Treffpunkten beklagten. In „Mehr Sprachschulen für Italienisch“ werden konkrete Forderungen thematisiert; wie auch die Not der Flüchtlinge in dem Bild „Die Unsichtbaren“. Schließlich zeigen die Zeichnungen auch das Traditionsbewusstsein und den Stolz der Bergamasker: Die „Alpini“ und nicht zuletzt den typischen Humor: „Es fehlt eigentlich nur das Meer“.
Die Zeichnungen, die Doris Graf von den Menschen bekommt, sind physisch greifbare Gedanken, die sprachunabhängig, auf unkonventionelle Art und Weise informieren. Nicht das Internet, Zeitschriften oder sonstige Medien stellen der Künstlerin Wissen zur Verfügung. Es sind die Menschen vor Ort, die durch ihre Bilder Einblicke in die eigene Gedanken- und Gefühlswelt geben. Der Ursprung der Kunst von Doris Graf ist sozusagen angelegt im Anderen. Sie entsteht mit und aus anderen Menschen.
Zeichnungen
Piktogramme
Die piktografischen Bilder stellen eine Art Kondensat aller in Bergamo gesammelten Zeichnungen dar.